Nachruf auf eínen Lebensverweigerer

Nachruf auf eínen Lebensverweigerer

Darf man einen Nachruf schreiben über jemanden, der freiwillig aus dem Leben geschieden ist?
Soll man dies wirklich oder muss das sein?
Hat er sich dies nach so einem Abgang verdient?
Muss man nun seine Lebensleistung verschweigen? Nein, auf keinen Fall.
Wir leben in den Tag hinein.
Der Alltag hat uns fest im Griff. Wir sind krisensicher, unzerstörbar. Ab und zu schlittern wir in ein kleines Störfeuer, aus dem wir uns aber wieder souverän befreien, fast immer.
Wir fördern, fordern und wenn wir mal überfordert sind, wehren wir uns, jeder auf seine Art und Weise.
Depression ist für uns ein Fremdwort. Wir haben alles im Griff.
Dann hören wir wieder von Menschen, bei denen nicht alles so selbstverständlich funktioniert.
Diese Menschen haben aber alle funktioniert, zumindest haben wir es nicht anders bemerkt.
Wir hätten es sowieso nicht beeinflussen können, denn Depression ist eine Krankheit, die man nicht so einfach heilen kann.
Dazu braucht es Unterstützung von erfahrenen Profis und auch Medikamente, die der Betroffene in diesem Zeitraum nehmen muss.
Wenn dann das Unerwartete geschieht und der Lebensmüde doch seine oft geäußerten Suizidgedanken umsetzt, sind wir fassungslos, reagieren schuldbewusst.
Doch das engste Umfeld, Verwandte, beste Freunde können dabei am wenigsten ausrichten.
Sie haben keine Schuld, obwohl sie am meisten mitleiden, weil sie direkt betroffen sind und dieser Depression hilflos gegenüberstehen.
Sie hören die Hilfeschreie fast täglich, doch keiner kann sich vorstellen, dass es zum Äußersten kommt.
Oft hilft es dem an sich Zweifelnden, wenn er ausspricht, was er denkt und er schafft es wieder sich zu beruhigen.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, lautet ein altes Sprichwort.
Doch leider ist es oft falsch, wie man es macht.
Hätte man doch etwas gesagt, oder mehr zugehört.
Zum Glück kann man nicht in das Innere eines Menschen schauen, obwohl es in solchen Fällen hilfreich wäre.
Doch vielleicht weiß der Betroffene ja selbst nicht, was mit ihm geschieht, er selber will. Er ist hin und her gerissen in seinem "Ich".

Zur Erinnerung an Menschen, die ihren Lebensalltag irgendwann nicht mehr gemeistert haben und zum Entsetzen der Familienmitglieder und der Bekannten diesen fürchterlichen Ausweg gesucht haben.

Haiku

So weit weg von ihm
Sein täglicher Aufenthalt
Er geht sich suchen

von Otto Schober im Februar 2020